Die ETH Zürich hat im neuesten Projekt des ETH Wohnforums aufgezeigt, wie die Community-Plattform von beUnity eine Nachbarschaft positiv beeinflusst. Dieser Artikel fasst die wichtigsten Erkenntnisse der Studie zusammen.
- Das Rütihof-Experiment: Ein Überblick
- Hauptbefunde der Studie
- Erfolgsbeispiele aus dem Rütihof
- Fazit und Ausblick
In einer Zeit, in der digitale Technologien immer mehr an Bedeutung gewinnen, stellt sich die Frage, wie diese unser soziales Miteinander beeinflussen können. Eine aktuelle Studie der ETH Zürich, durchgeführt vom ETH Wohnforum – ETH CASE, hat dieses Phänomen untersucht.
Die Studie analysierte die Nutzung der beUnity-Plattform im Zürcher Quartier Rütihof und beleuchtete die Potenziale und Grenzen einer digitalen Community-Plattform. Die Ergebnisse sind vielversprechend und bieten wertvolle Einblicke sowohl für Entwickler:innen solcher Plattformen als auch für die Bewohnenden selbst.
Das Rütihof-Experiment: Ein Überblick
Die Untersuchung der ETH Zürich fokussierte sich auf das Quartier Rütihof, das rund sieben Kilometer ausserhalb des Zürcher Stadtzentrums liegt. Rund 2800 Personen ab 16 Jahren wohnen da in unterschiedlichen Wohnformen. Die beUnity-Plattform wurde Anfang 2023 eingeführt.
Ziel der Studie war es, zu verstehen, wie diese digitale Plattform genutzt wird und wie sie das soziale Miteinander im Quartier beeinflusst. Dazu wurden quantitative Daten aus der Nutzung der Plattform und qualitative Erkenntnisse aus Befragungen und Interviews der Bewohner:innen gesammelt.
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Die Erfahrung des beUnity-Teams zeigt, dass 2800 Menschen für eine Community-Initiative eher etwas viel sind. «Die Identifikation in einer so grossen Gruppe ist kleiner, als wenn es sich um rund 400 Menschen handelt. Im Gegenzug ist es einfacher, eine genug grosse Zielgruppe von engagierten Personen zu finden, was sich im Rütihof auch definitiv erwiesen hat», sagt Nachbarschafts-Experte Gabriel Riedo von beUnity.
Hauptbefunde der Studie
Erhöhte Vernetzung und Engagements
Bereits im ersten Monat nach dem Start der Plattform im Mai 2023 registrierten sich rund 300 Nutzer:innen. Diese Zahl wuchs bis Ende des Jahres kontinuierlich auf über 400 an, was ein starkes Interesse und eine hohe Akzeptanz unter den Bewohnenden zeigt. Im Nu hat man damit die kritische Masse erreicht, die es benötigt, um eine gewinnbringende Community fürs ganze Quartier aufzubauen.
«300 Nutzerinnen in einem Monat sind ein sehr guter Wert», bestätigt Riedo. Dies entspricht rund 10% der möglichen Zielgruppe, was bei so grossen Zielgruppen der Benchmark sei. Je kleiner die Zielgruppe, desto höher die Abdeckung nach einem Monat – bei kleineren Zielgruppen sind über 50% Abdeckung keine Seltenheit.
«Die Leute wünschen sich mehr Kontaktmöglichkeiten, dabei kann das Digitale eine weitere Form sein.»
Angela Birrer, Co-Autorin der Studie des ETH Wohnforums
Die Plattform wurde sodann auch vielfältig genutzt, wobei der Marktplatz und die Eventübersicht am beliebtesten waren. Verschiedene Erfolgsbeispiele (siehe weiter unten) zeigen auf, wie wichtig es ist, eine vielseitige Community-Plattform einzusetzen, um die unterschiedlichen Bedürfnisse abzudecken.
«Aus Sicht der Quartierarbeit bringt es was, weil sich die Leute untereinander vernetzen und das ist ein Anliegen von uns.»
Verantwortliche Quartierarbeit Rütihof
«Ich bin auf Facebook in X Gruppen drin. Aber so konzentriert wie in der Rütihof-App habe ich sonst nichts Vergleichbares gefunden. Man hat wirklich alles: Einen Chat, man kann Kaufen und Verkaufen, Hilfe anbieten oder suchen. Das finde ich toll. Oder die Events, die hier stattfinden, das habe ich so woanders nicht gefunden.»
Befragte Rütihof-Bewohnerin in der Studie
Spannend ist auch die Altersverteilung auf der Plattform. Entgegen den Vermutungen vieler Personen zeigen die Erhebungen ein heterogenes Bild bei der Altersverteilung der App-Nutzenden. So variiert das Alter der befragten Nutzenden von 28 bis 81 Jahren. Abgesehen von den unter 30-Jährigen gleicht die Verteilung der Umfrage-Teilnehmer:innen jener der gesamten Quartierbevölkerung, einzig 30- bis 40-jährige sind leicht über- und über 85-jährige untervertreten.
«Auch dieses Bild deckt sich mit der Analyse über 100 Nachbarschaften in der Schweiz. Grundsätzlich lassen sich drei Hauptzielgruppen definieren: Studierende, junge Eltern und Pensionierte”, ergänzt Gabriel Riedo von beUnity. Was auffalle: Gerade ältere Menschen weisen hohe Aktivitäten auf. Sie bekunden meist etwas mehr Mühe bei der Registrierung, doch bei der Nutzung danach liegen sie weit oben in der Aktivitätenliste.
Positive Wahrnehmung der Nachbarschaft
Insgesamt wurde die beUnity-Plattform sehr positiv aufgenommen. 93% der befragten Nutzer:innen empfanden die App als Bereicherung für ihr Quartier. Die Mehrheit sah in der App eine gute Möglichkeit, sich mit anderen Menschen im Rütihof auszutauschen (74%) und das Gemeinschaftsgefühl zu stärken (70%).
Der freundliche und respektvolle Umgangston auf der Plattform wurde besonders geschätzt. Die einfache digitale Interaktion führte oft zu physischen Treffen und stärkte so die nachbarschaftlichen Beziehungen.
«Es ist einfach, sich digital auszutauschen – und die meisten Aktionen laufen schlussendlich auf ein analoges Treffen hinaus. Selbst wenn jemand im Marktplatz einen Beitrag macht und eine andere Person den Gegenstand abholt, entsteht eine physische Begegnung.»
Verantwortliche Person der beUnity-Plattform innerhalb einer Genossenschaft im Rütihof in Zürich
Dies bestätigen auch frühere Studien, die sich der Digitalisierung in Nachbarschaften widmen. Verschiedene Quellen in der ETH-Studie weisen darauf hin, dass lokale Online-Plattformen nicht als Ersatz für reale Kontakte zu verstehen sind. Sie sind viel eher eine Form von Infrastruktur, die Erfahrung, Gemeinschaft und Solidarität als Hilfsmittel eng miteinander verwebt.
«Wenn es irgendwo in Höngg wäre, dann interessiert es mich nicht mehr. Ich will die Leute kennenlernen, ich will die Leute treffen – in der Umgebung.»
Bewohnerin Rütihof
Stärkung schwacher Bindungen
Die Studie betont die Bedeutung sogenannter «weak ties» – lockere, weniger intensive Beziehungen, die jedoch entscheidend für den sozialen Zusammenhalt sind. In der Forschungsliteratur werden diese schwachen Bindungen als zentral für das Heimatgefühl und die soziale Unterstützung der Bewohner identifiziert, besonders für diejenigen mit begrenzten sozialen und ökonomischen Ressourcen.
Durch die digitale Plattform konnten Nachbar:innen leichter in Kontakt treten, Ressourcen teilen und Veranstaltungen organisieren, wodurch auch Menschen, die sich sonst nicht begegnet wären, miteinander vernetzt wurden.
Eine Nachbarschaftsplattform verfolgt primär nicht das Ziel, neue «Freundschaften fürs Leben» zu bilden. Vielmehr soll das Potential der Nachbarschaft entfalten werden, welches sich eben in den sogenannten «weak ties» (Gegenstände teilen, Wissen vermitteln, Hund/Katze füttern etc.) befindet. Sie verbinden die unterschiedlichsten sozialen Gruppen, stärken das Gemeinschaftsgefühl vor Ort und ermöglichen es, die ersten Schritte für Nachbarschaftshilfe zu vereinfachen. Das erhöht die gesellschaftliche Resilienz und Integration.
Erfolgsbeispiele aus dem Rütihof
Einige konkrete Beispiele aus der Nutzung der beUnity-Plattform illustrieren den Erfolg und die positiven Effekte auf die Nachbarschaft:
Marktplatz als Treffpunkt
Gemäss den Interviews der Studie erweist sich der Marktplatz als äusserst nützlich, da dort regelmässig Angebote geteilt werden und oft ein Handel zustande kommt. Über 300 Beiträge wurden mittlerweile verschenkt oder verkauft, vor allem Möbel und Kleidung.
Dies kann wiederum zu persönlichen Begegnungen im Quartier führen. Eine Nutzermeinung dazu lautet: «Marktplatz, Tauschen, Teilen – vor der Haustüre, man kommt ins Gespräch, sieht sich wieder – und eine Verbindung kann entstehen.» So bot beispielsweise eine Bewohnerin ihre Schneidemaschine zum Verleih an. Dies führte nicht nur dazu, dass sie einem Nachbarn helfen konnte, sondern auch zu einer neuen Bekanntschaft. Solche kleinen Interaktionen helfen, Vertrauen und Freundschaften aufzubauen.
Der Marktplatz weist in allen Nachbarschafts-Communities auf beUnity eine starke Relevanz auf – und dies gleich von Beginn weg. Nicht alle sind an einem stärkeren Austausch interessiert, doch vom Marktplatz profitieren schlussendlich alle. Gabriel Riedo zieht folgenden Vergleich: «Was ist dir lieber, wenn du einen Tisch loswerden möchtest: Ein Treffen mit der Nachbarin, welche 30 Minuten später den Tisch abholt oder ein mühsames Hin und Her mit einer fremden Person aus einer fremden Stadt?»
«Ist halt praktisch, weil die Leute im Quartier sind. Da kommt jemand mal eben schnell vorbei. Oder ich lege es in den Milchkasten. (…) Bei Tutti oder so ist es ja oft, dass die Leute wollen, dass es verschickt wird, die Zeit habe ich nicht.»
Bewohnerin des Rütihof-Quartiers
Gemeinsame Projekte
Eine Gruppe von Bewohnenden nutzte die Plattform, um ein «Madame Frigo»-Projekt zu initiieren, bei dem überschüssige Lebensmittel in einem gemeinsamen Kühlschrank geteilt werden. Das Konzept ist simpel: Bring, was du selber nicht mehr brauchst und hol dir, was zuhause gerade fehlt.
Entstanden ist die Idee aus einem simplen Beitrag einer Bewohnerin, die fragte, ob weitere Personen ebenfalls Interesse daran hätten. Innerhalb kurzer Zeit meldeten sich mehrere Bewohner:innen, welche schlussendlich zusammenfanden und das Projekt vorangetrieben haben. Und siehe da: Ein paar Monate später stand der Kühlschrank im Quartier.
Event-Organisation
Ein weiteres Erfolgsbeispiel ist die Eventübersicht. Über die Event-Seite werden auf beUnity regelmässig lokale Veranstaltungen wie der Frühlingsmarkt oder Flohmärkte beworben. Bald 100 Events wurden bereits veröffentlicht. Der Vorteil daraus – so wird aus den Interviews deutlich – ist, dass Terminkollisionen von Events vermieden werden können und sichtbar wird, an welchen Wochenenden etwa schon viel los ist.
Wie der Marktplatz ist auch die Eventübersicht zentral in einer Nachbarschaft. Begegnungen im echten Leben machen die Nachbarschaft zu dem, was sie ist. Mit einer Plattform haben die Communities einen Ort, wo sie ziemlich alle relevanten Menschen erreichen können. Mit 100 Events nach weniger als einem Jahr liegt der Rütihof im Durchschnitt.
Nebst dem Bewerben von Events wird auf der App auch über Kursangebote informiert und Teilnehmende dafür angeworben. Ebenso werden kurzfristige Ankündigungen gemacht – wie beispielsweise, dass der Bauspielplatz am nächsten Tag geschlossen ist.
Ein Werkzeug für nachbarschaftliche Beziehungen
Neben der positiven Resonanz gab es natürlich auch Herausforderungen. Die Studie wies auf die Notwendigkeit hin, die Inhalte innerhalb der App am besten durch ein Projektteam zu organisieren. Es zeigte sich zudem, dass digitale Plattformen zwar erheblich zur Verbesserung der nachbarschaftlichen Interaktionen beitragen können, jedoch die traditionellen, persönlichen Begegnungen nicht ersetzen können. Im Gegenteil: Die Internetnutzung führt weder zu einer stärkeren Privatisierung noch zur Isolation der lokalen Nachbarschaft, sondern langfristig zur Bildung lokaler sozialer Netzwerke, welche die Nachbarschaft stärken.
Fazit und Ausblick
Die Studie der ETH Zürich zeigt, wie digitale Community-Plattformen wie beUnity zur Stärkung des sozialen Miteinanders beitragen können. Sie bieten eine zusätzliche Möglichkeit der Teilhabe und Vernetzung, die besonders in Zeiten zunehmender Digitalisierung wertvoll ist.
Damit ergänzt die Studie verschiedene frühere Untersuchungen. Beispielsweise wurde die Nutzung und Wirkung einer Community-Plattform im Quartier Neuhegi in Winterthur 2021 untersucht. In einer Vorher-Nachher-Befragung konnte aufgezeigt werden, dass – trotz geringer Aktivität auf der App – bei den registrierten Personen ein Jahr nach Lancierung sowohl die Verbundenheit mit dem Quartier wie auch die Zufriedenheit mit dem Leben im Quartier höher ist als bei den Nicht-Registrierten.
Die Firma beUnity
Seit Jahren begleitet beUnity Nachbarschaften auf ihrem Weg zu einem aktiveren Zusammenleben. Die Kommentare zur Studie basieren auf Daten und qualitativen Erfahrungswerten von über 100 Nachbarschaften in der Schweiz, welche die beUnity-Plattform ebenfalls zum Austausch nutzen. Für weiterführende Informationen nehmen Sie mit uns Kontakt auf.
Nächstes Projekt: Genossenschafts-Benchmark
Nach diesem grossen Projekt steht bereits das nächste an: Wir befragen Bau- und Wohngenossenschaften, um herauszufinden, wie lebendig ihre Gemeinschaften sind. Was bewegt die Bewohnenden? Welche Themen sind relevant? Durch unsere Benchmark-Analyse möchten wir die aktuelle Landschaft in der Wohngenossenschaftswelt abbilden.
Der Benchmark ermöglicht Ihnen, sich mit anderen zu vergleichen, Best Practices zu entdecken und gezielt Schwachstellen zu optimieren. So können fundierte Entscheidungen getroffen und Aktivitäten nachhaltig gestärkt werden. Zudem erhalten Sie wertvolle Einblicke in aktuelle Branchentrends und Entwicklungen. Verstehen Sie, wo Sie stehen und wie Sie sich weiterentwickeln können.
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